In diesem Jahr wäre die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky 125 Jahre alt geworden. Auch wenn sie dieses Alter natürlich nicht hat erreichen können, starb sie doch tatsächlich erst mit stolzen 103 Jahren im Jahr 2000 in ihrer Geburtsstadt Wien.
Das Leben der Wienerin war geprägt von den tiefgreifenden Ereignissen des 20. Jahrhunderts. Nach ihrer Ausbildung in Wien gehörte Lihotzky zu den ersten österreichischen Architektinnen, die ihren Beruf überhaupt ausübten und war eng verbunden mit der dortigen Siedlerbewegung und dem kommunalen Wohnungsbau. Konzepte zur Typisierung der Architektur und der Wohnungsausstattung prägten bereits ihre frühe Arbeit, auf die auch Ernst May aufmerksam wurde. So erhielt Lihotzky 1926 als erste Architektin eine Anstellung im Frankfurter Hochbauamt. 1930 folgte sie mit anderen Akteuren May in die Sowjetunion, wo sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, Wilhelm Schütte, bis 1937 arbeitete. Da eine Rückkehr nach Nazi-Deutschland zu dieser Zeit unmöglich geworden war, landeten beide über Umwege 1938 in Istanbul. Von dort brach Schütte-Lihotzky, im Exilwiderstand aktiv, 1940 nach Wien auf, wurde dort jedoch verraten, verhaftet und ins Zuchthaus gesteckt. 1945 befreit, traf sie Wilhelm Schütte erst 1947 in Sofia wieder, 1951 trennte sich das Paar. In den folgenden Jahren, also während des Kalten Krieges, erhielt die weiterhin bekennende Kommunistin nur selten öffentliche Aufträge, gelegentlich arbeitete sie als Beraterin für das Ausland. Der Bau ihrer eigenen Wohnung mit Dachterrasse auf einem genossenschaftlichen Wohnkomplex war ihr letztes realisiertes Projekt. Zu ihren Lebzeiten erschien anlässlich einer ersten großen Ausstellung im MAK Museum Angewandte Kunst Wien 1993 der Werkkatalog „Margarete Schütte-Lihotzky. Soziale Architektur, Zeitzeugin eines Jahrhunderts“, der lange Zeit das Standardwerk zu ihrer Arbeit bleiben sollte. Bei dessen Erscheinen war Schütte-Lihotzky 96 Jahre alt – also eine sehr späte Ehrung!
Was bleibt?
Erst nach ihrem Tod erweiterte sich allmählich der Blick auf Werk und Persönlichkeit der Architektin. So fand beispielsweise 2018 in der Universität für angewandte Kunst Wien – kurz: „Die Angewandte“ –, in deren Archiv sich der Nachlass befindet, die Tagung „Margarete Schütte-Lihotzky. Architektur – Politik – Geschlecht. Neue Perspektiven auf Leben und Werk“ statt, aus der eine umfangreiche Publikation hervorging. In dieser Aufsatzsammlung, in der auch Claudia Quiring, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der emg, über die Zeit in Frankfurt schrieb, werden vielfältige und neue Aspekte zu Leben und Werk Schütte-Lihotzkys behandelt. 2021 gab Thomas Flierl, ebenfalls Beirat der emg, den aufschlussreichen Briefwechsel der Eheleute Schütte-Lihotzky aus den Jahren 1941-1945 heraus, als die Architektin im Gefängnis saß. Für diese Publikation erschloss Flierl, wie er bei seiner Lesung im Rahmen der Mitgliederversammlung der emg 2020 erläuterte, auch bis dahin ungekanntes Material.
In Wien bemüht sich der 2013 gegründete Margarete Schütte-Lihotzky Club in Ausstellungen und Veranstaltungen im Margarete Schütte-Lihotzky Raum um die „Sichtbarmachung“ der Architektin (www.schuette-lihotzky.at). So erschien auch in enger Zusammenarbeit mit der „Angewandten“ 2021 die Publikation „Margarete Schütte-Lihotzky. Spuren in Wien“ anlässlich des 125. Geburtstags der Architektin. Die informative, tagungsähnlich angelegte Buchpräsentation ist auf YouTube zu sehen.
Der Club arbeitet zudem an einer Wien-Karte, auf der alle wesentlichen Orte Schütte-Lihotzkys Biografie, Bauten und Werke, sowie des Widerstandes und politischer Ereignisse dargestellt sein werden. Außerdem soll in der seit kurzem unter Denkmalschutz stehenden letzten Wohnung in der Franzengasse ein öffentlich zugängliches Margarete Schütte-Lihotzky Zentrum entstehen, das ebenso als Forschungsstelle zu Pionierinnen der Architektur in Wien dienen wird.
Frankfurt tut sich eher schwer mit dem Gedenken an Margarete Schütte-Lihotzky. Obwohl sich ihre Arbeit am Main sehr vielfältig gestaltete, wurde sie in der späteren Wahrnehmung v.a. auf die Entwicklung der Frankfurter Küche reduziert – eine Festlegung, die ihr selbst lebenslang zuwider war. Erst nach ihrem Tod benannte man in Praunheim eine kleine Grünanlage nach ihr. Doch die Frankfurter Küche gilt mittlerweile als teuer gehandelte Designikone und dient dem Image der Stadt. In diesem Zusammenhang spielt die Architektin wiederum keine wesentliche Rolle.
Zum Weiterlesen:
Marcel Bois, Bernadette Reinhold (Hg.): Margarete Schütte-Lihotzky. Architektur – Politik – Geschlecht: neue Perspektiven auf Leben und Werk. Basel 2019
Thomas Flierl (Hg.): “Mach den Weg um Prinkipo, meine Gedanken werden Dich dabei begleiten!”. Der Gefängnis-Briefwechsel 1941–1945 / Margarete Schütte-Lihotzky, Wilhelm Schütte. Berlin 2021
Patrick Werkner: Ich bin keine Küche. Gegenwartsgeschichten aus dem Nachlass von Margarete Schütte-Lihotzky. Wien 2008
Jutta Zwilling: Schütte-Lihotzky, Margarete. In: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe)
Christine Zwingl (Hg.): Margarete Schütte-Lihotzky. Spuren in Wien. Wien 2021
28. April 2022, Ulrike May, ernst-may-gesellschaft, Frankfurt am Main
ein blick nach russland – die “sozialistische stadt kuznetskstroy”
Ein Blick nach Russland
Unsere Blicke richten sich momentan gen Osten. Der schreckliche und brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist in jeder Hinsicht zu verurteilen und es ist richtig ihn mit starken Sanktionsmaßnahmen zu bestrafen.
Vor 90 Jahren waren Ernst May und ein Teil seines Frankfurter Teams in die Sowjetunion ausgewandert und haben dort für das Stalin-Regime sozialistische Städte in verschiedenen Regionen geplant und zum Teil errichtet. Auf dem Gebiet der heutigen Ukraine – nun im annektierten Donbass – projektierte das Team Stadterweiterungen in Gorlovka und Makeevka. Aber auch auf russischem Gebiet, im Kussbass, weit östlich des Urals planten May und seine Kolleg:innen eine Stadt – die Sozialistische Stadt Kuznetskstroy. Eine Gesellschaft für Denkmalschutz in Novokuznetsk versucht mit viel Engagement einen Teil der Bauten aus den 1930er Jahren zu sanieren und eine kleine Musterwohnung einzurichten. Die ernst-may-gesellschaft unterstützt dieses Projekt ideell und möchte Euch das Projekt mit einem Text von Roman Klepikov vorstellen.
03.03.2022, Philipp Sturm, ernst-may-gesellschaft
Die “sozialistische Stadt Kuznetskstroy”
Novokuznetsk ist die älteste Stadt im Gebiet Kemerowo (Kuzbass) und liegt im Süden von Westsibirien. Ursprünglich Kuznetsk (deutsch: Schmied) genannt wurde sie 1618 als eine hölzerne Verteidigungsfestung gegründet
Die Realisierung des städtebaulichen Plans von Ernst May in der Stadt Novokuznetsk
Mit heute 550.000 Einwohnern ist Novokuznetsk das Zentrum des Ballungsraums Kuzbass mit ca. 1,3 Millionen Einwohnern. Die Stadt ist eines der größten Zentren der Hüttenindustrie und des Kohlebergbaus Russlands. 1929 wurde neben Kuznetsk ein Großbau begonnen: Kuznetskstroy. In kürzester Zeit entstand in Sibirien mitten im Wald und auf leerem Gelände ein gewaltiges Stahlwerk, das viertgrößte Hüttenwerk der Welt. 1932, nach dem Schmelzen des ersten sibirischen Stahls, wurde Kuznetsk in Stalinsk umbenannt, und 1961 in Novokuznetsk.
Für den Bau des Werks und die künftige Stahlschmelze benötigte man viele Arbeitskräfte. Anfangs mussten die Bauarbeiter unter schwierigsten Bedingungen leben, die meisten wohnten mit ihren Familien in Erdhütten oder Erdvertiefungen mit bedeckten Balkendecken. Daher war es also erforderlich, in kürzester Zeit Tausenden von Menschen Wohnraum bereitzustellen. Die sowjetische Regierung beschloss, die Erfahrungen des Architekten und Stadtplaners Ernst May mit dem Massenwohnungsbau zu übernehmen. Man nahm May unter Vertrag und errichtete nach seinen Bebauungsplänen und denen seiner Architektengruppe neben den gerade entstandenen Industriewerken sozialistische Städte (Sozgorod) des neuen Typs.
1930 begann der Bau der städtischen Siedlung „Sozialistische Stadt Kuznetskstroy“. Zusammen mit seinen Mitarbeitern und im Verband mit der Vereinigung „Sojuzstandartshilstroy“ realisierte May das Prinzip des Zeilenbaus, die Anordnung von gleichartigen Wohnbauten quer zur Verkehrsstraße. Die Gebäude selbst wurden über Fußwege erschlossen. Die Bebauung ermöglichte eine meridionale Ausrichtung der Gebäude zur Sonne, sodass die Wohnungen von zwei Seiten gleichmäßig belichtet wurden. Bei dieser Bauweise ließ sich die Errichtung von gleichförmigen Häusern durch lineare Verschiebung der Montagekräne und einfaches Verlegen der Erschließungsstraßen forcieren, verbilligen und vereinfachen.
Die gebauten Stadtviertel sind voneinander durch Grünanlagen, die die Straßen umrahmen, abgetrennt. Jedes Stadtviertel hat seine eigenen grünen Gebiete, in denen sich die Sozialgebäude befinden. Zwischen 1931 und 1932 wurden die Häuser in den Straßen, die bis heute ihre historischen Namen bewahrt haben, gebaut: in der Enthusiastenstraße, der Chitarovstraße und der Metallurgenallee. Unter Ernst May und seinem Team wurden folgende Sozialgebäude errichtet: ein Kindergarten (Architektin: Margarete Schütte-Lihotzky, er wurde 2019 abgerissen), das Gebäude des Bekleidungswerks und das erste Dampfbadehaus. Im Laufe von nur wenigen Monaten wurden in der „Sozialistischen Stadt Kuznetskstroy“ insgesamt 54 Mehrfamilienhäuser mit je 30 Wohnungen (Wohnfläche 40 Quadratmeter) errichtet. Neben jedem Haus wurde ein Gemüsegarten angelegt. Die Häuser wurden nach Berufen bezogen und entsprechend benannt: Lehrerhaus, Hüttenwerkerhaus, Ingenieurhaus und Schmiedhaus. Alle Häuser wurden mit Holz und Kohle geheizt. In den Küchen stand anstelle der geplanten Frankfurter Küche nur ein Ofen.
Die Häuser in den Hauptstraßen wurden mit Ornamenten verziert, die von der Architekturwerkstatt Kuznetskstroy im Stil des Art déco entworfen waren. Es wurden auch Skulpturenkompositionen, Blumentöpfe und weitere Elemente für die Ausgestaltung von Kuznetskstroy entwickelt.
Der Umbau von Gebäudeteilen und der Verfall der „Sozialistischen Stadt“
Am Ende der 1930er Jahre, als die Ideologie des totalitären Regimes der UdSSR begann, die Architektur zu beeinflussen, wurde eine Reihe von Häusern mit architektonischen Elementen im Stil des sowjetischen Neoklassizismus geschmückt. In den späten 1950er Jahren wurden einige Gebäude um eine weitere Etage und unter Bewahrung des neoklassizistischen Stils aufgestockt. Die meisten Häuser sind jedoch in ihrer ursprünglichen Form erhalten geblieben.
Der Niedergang der „Sozialistischen Stadt Kuznetskstroy“ fiel in die 1990er und 2000er Jahre, als die Häuser wegen unterlassenen Reparaturen verfielen oder abgerissen wurden. Die Wohnungen galten als zu klein und zu unbequem zum Leben, sodass sich dort Menschen aus prekären sozialen Verhältnissen ansiedelten. Manche bezeichneten das Viertel damals als Slum und betonten damit den depressiven Zustand der Gegend. Das Rathaus der Stadt Novokuznetsk hatte angesichts der für Neubauten lukrativen innerstädtischen Lage mehrfach die Frage nach Abriss der Gebäude aufgeworfen.
Das Projekt „Kuzbass Sozialistische Stadt“ zur Wiederherstellung der Bebauung von Ernst May
Im Jahre 2012 gründete Roman Klepikov das Projekt „Kuzbass Sozialistische Stadt“ mit dem Ziel, das Erbe des Architekten Ernst May in Kuzbass zu bewahren und den Stadtteil „Sozialistische Stadt Kuznetskstroy“ wiederherzustellen. Mit finanziellen Mitteln aus dem föderalen Haushalt sowie aus Spenden und Sponsorengeldern konnte die Generalüberholung des ersten Hauses der Sozialistischen Stadt bewerkstelligt und die ursprüngliche architektonische Gestaltung des Hauses Metallurgenallee 35 anhand von historischen Fotos wiederhergestellt werden. Symbol und Logo des Projekts wurde das Ornament an der restaurierten Fassade des Hauses: ein fünfzackiger Stern. Um die Idee der Wiederherstellung der Sozialistischen Stadt zu popularisieren, wurden vom Team des Projekts zusammen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Bezirks folgende Maßnahmen umgesetzt:
– Installation von Informationsständen, die über den Architekten Ernst May und seine Projekte in der Welt berichten
– Entwicklung einer Führung durch die „Sozialistische Stadt Kuznetskstroy“
– Aufstellung verschiedener Bauskulpturen der 1930er und 1940er Jahre und Retro-Bänke
– Wiederherstellung eines Wandbildes aus Stahl mit Wappen der Stadt an einer Hausfassade
– Produktion von Souvenirs mit der Symbolik der „Sozialistischen Stadt Kuznetskstroy“
Im Jahr 2014 konnten die Bewohner mehr über die ernst-may-gesellschaft in Deutschland erfahren. Otto Schweitzer und Julius Reinsberg besuchten Novokuznetsk, um einen Dokumentarfilm über die realisierten Bauten von Ernst May auf drei Kontinenten zu drehen. Die gemeinsamen Gespräche haben es uns ermöglicht, einen neuen Blick auf sein und unser bauliches Erbe zu werfen.
Allmählich begann das Rathaus, das Projekt zu unterstützen und die Gebäude in verschiedene Sanierungsprogramme aufzunehmen, vor allem die Renovierung der Fassaden der zentralen Häuser. Dabei wurde das Projektteam zur Beratung über die wiederherzustellende Außengestalt herangezogen. 2016 wurde das Projekt „Kuzbass Sozialistische Stadt“ auf dem internationalen Kulturforum in Sankt-Petersburg von internationalen Expertinnen und Experten als bedeutend eingeschätzt und die „Sozialistische Stadt Kuznetskstroy“ für die Aufnahme in die Liste des UNESCO-Welterbes empfohlen.
Im Jahre 2017 wurden sechs Häuser und zwei Sozialbauten – das Gebäude der Bekleidungsfabrik und der Park mit Skulpturen der 1930er Jahre – von der staatlichen Kommission als “identifizierte Objekte des kulturellen Erbes“ bezeichnet und erhielten so den Denkmalsschutzstatus. Im Jahr 2020 hat die regionale Abteilung der Organisation „Allrussische Gesellschaft für Denkmalsschutz der Geschichte und Kultur“ eine Expertise angeordnet mit dem Ziel, alle Häuser und Gebäude, die sich auf dem Territorium der „Sozialistischen Stadt Kuznetskstroy“ befinden, in das Register der Objekte des kulturellen Erbes der Russischen Föderation einzutragen. So wird die Bebauung gesichert und die Häuser werden vor dem Abriss bewahrt. Das Projektteam „Kuzbass Sozialistische Stadt“ ist überzeugt, dass das Erbe des Architekten Ernst May den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes erhalten muss.
Derzeit wird durch das Projektteam ein Konzept für die vollständige Erhaltung des Erbes von Ernst May entwickelt. Es wird die Wiederherstellung von mehreren Häuserfassaden nach dem ursprünglichen Bauplan des Architekten diskutiert. Außerdem wurde vorgeschlagen, an weiteren Fassaden eine andere Schicht des Dekors freizulegen, um die unterschiedlichen Epochen und deren Auswirkungen auf die architektonische Gestalt der Gebäude zeigen zu können: vom Art déco bis zum Neoklassizismus.
Die Gründung des Musterraums zur Architektur Ernst Mays
Derzeit schafft das Projektteam „Kuzbass Sozialistische Stadt“ in der „Sozialistischen Stadt Kuznetskstroy“ einen Musterraum zur Architektur von Ernst May. Um die ursprünglichen Ideen des Architekten in einem typischen Haus der damaligen Zeit zeigen zu können, sollen eine Frankfurter Küche eingebaut und Möbel rekonstruiert werden. Zugrunde gelegt wurde hierbei die Erfahrung der ernst-may-gesellschaft bei der Sanierung eines Reihenhauses des Neuen Frankfurt. In der „Sozialistischen Stadt Kuznetskstroy“ wurde in der Metallurgenallee 33 eine Wohnung (Baujahr 1932) gefunden, die im ursprünglichen, von Sanierungen unberührten Zustand geblieben ist.
Da 1933 der Vertrag von Ernst May mit der sowjetischen Regierung wegen des Einflusses der Ideologie des totalitären Regimes der UdSSR auf die Architektur aufgelöst wurde, konnten die Wohnungen der „Sozialistischen Stadt Kuznetskstroy“ nicht nach den Vorstellungen von May eingerichtet werden. Die Menschen waren gezwungen, selbst Möbel zu kaufen oder herzustellen und damit auch den Anschein einer Frankfurter Küche zu erwecken. Die geplante Musterwohnung ist 46 und die Küche 5,5 Quadratmeter groß, die originalen Türen und Fenster sind erhalten geblieben.
Die regionale Abteilung der „Allrussischen Gesellschaft für Denkmalsschutz der Geschichte und Kultur“ hat mit dem Eigentümer der Wohnung eine Übereinkunft zur Schaffung eines Museums getroffen. Die Eröffnung des Musterraumes zur Architektur Ernst Mays ist für das Jahr 2022 geplant. Zur Eröffnung des Museums werden vom Projektteam „Kuzbass Sozialistische Stadt“ Gäste aus Deutschland und Kenner Ernst Mays eingeladen.
Dezember 2021, Roman Klepikov, Novokuznetsk
Roman Klepnikov ist Ingenieur (Fachrichtung: Druckbearbeitung von Metallen) und Leiter der Abteilung „Allrussische Gesellschaft für Denkmalsschutz der Geschichte und Kultur“ im Gebiet Kemerowo. Seit 2012 ist er Autor und Gründer des Projekts „Kuzbass Sozialistische Stadt“.
die siedlung höhenblick aus der perspektive eines kleinen mädchens – ein interview mit ruth müller
Christina Treutlein: Wir alle haben die Bilder von den schönen weißen Häusern mit farbigen Details in der Siedlung Höhenblick vor unserem Auge. Frau Müller, Sie und Ihre Familie lebten in einem der Reihenhäuser dort, nämlich im Fuchshohl 35. Ihre Eltern hatten das Haus kurz vor Ihrer Geburt bezogen. Wie erlebten Sie als kleines Mädchen das Haus und den Garten?
Ruth Müller: Ich erinnere mich noch sehr gut an das Haus, es war alles sehr praktisch und übersichtlich. So auch die Küche mit dem an der Wand befestigten, herunter klappbaren Bügelbrett, das Spülbecken und der zusätzliche Wandbrunnen an der gegenüber liegenden Wand, an dem man bequem einen Putzeimer mit Wasser befüllen konnte. Einen Kühlschrank gab es dort nicht und einen Eisschrank hatten nicht viele. Meine Mutter brachte die Lebensmittel meist in den Keller. Die Weihnachtsgans aber hängte sie bei Frost bis zu deren Zubereitung an den Festtagen auf der Dachterrasse an den Haken. Auf der Dachterrasse wurden oft Familienfotos gemacht. Auch die Terrasse hinter dem Haus war sehr beliebt. Im Sommer saßen meine Eltern dort oft mit Freunden. Das einzige Manko am Haus war das Fehlen eines zweiten WCs. Aber Vater ließ ja schon bald ein weiteres WC in der Waschküche einbauen.
Ganz früher hatten wir für ein paar Jahre ein Dienstmädchen, das in der Kammer im ersten Obergeschoss schlief. Damals schliefen mein Bruder Felix und ich gemeinsam im Kinderzimmer. Erst als ich älter wurde und ein eigenes Zimmer haben wollte, zog ich in die Kammer.
Treutlein: Ein Haus in der Siedlung Höhenblick, ein Dienstmädchen, der Vater ein enger Mitarbeiter von Stadtbaurat May – man kann somit sagen, dass Sie in einer privilegierten Familie aufwuchsen, Ihr Vater im Gegenzug aber vermutlich auch viel arbeitete. Neben seiner Anstellung als Chefarchitekt bei der Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen (ABG) war er obendrein als Privatarchitekt tätig. Gab es in dem Haus im Fuchshohl denn auch ein Arbeitszimmer?
Müller: Ja, dieses war im zweiten Obergeschoss. Hier ließ er die Wand zwischen der zweiten Kammer und dem Dachzimmer entfernen, so dass ein großes Büro entstand. An der Wand hing die farbige Zeichnung vom Schwimmbad-Entwurf für den Pestalozziplatz. Vaters Arbeit war in der Familie kein großes Thema. Bis 1931 war er bei der ABG angestellt und tagsüber im Büro in der Elbestraße oder er beaufsichtigte die Arbeiten an den Siedlungsbauten. Nachdem inflationsbedingt die Bauabteilung bei der ABG geschlossen wurde, war er ab 1932 als Privatarchitekt tätig. Vormittags traf er sich dann mit den Bauherren und den Firmen, die seine Entwürfe ausführten. Er kam meist am frühen Nachmittag nach Hause und dann gab es ein gemeinsames Mittagessen. Nach dem Essen ging er hoch in sein Arbeitszimmer und arbeitete manchmal bis tief in die Nacht, nur zum Abendessen kam er kurzzeitig herunter.
Treutlein: Im Arbeitszimmer hatte Ihr Vater vermutlich ähnlich moderne Möbel, wie er sie für sein Büro bei der ABG entwarf. Wie hatte sich Ihre Familie das Haus im Höhenblick denn sonst eingerichtet?
Müller: Wir hatten Stühle, die Vater selbst entworfen hatte. Sie waren sehr stabil und unverwüstlich. Ebenso die Bank, die man aufklappen konnte, um Dinge darin zu verstauen. In der Bank habe ich mit einer Freundin Radio gespielt: Eine von uns ging in die Bank, machte den Deckel zu und begann zu sprechen. Das war unser Radio. Die Bank stand im Wohnraum neben dem Herrenzimmer. Alle Möbel im Herrenzimmer hatte Vaters Schwiegermutter aus Breslau ausgesucht. Es waren schwarze Eichenmöbel mit Schnitzereien, vom Stil her ganz anders als seine eigenen Entwürfe. Ich frage mich heute noch, ob ihm diese Dinge gefallen haben?
Treutlein: Schaut man sich die Fotos von seinen schlichten und geradlinigen Möbelentwürfen an, kann ich mir gut vorstellen, dass er sich vermutlich für andere Stücke entschieden hätte und sie der Schwiegermutter zuliebe aufstellte. Frau Müller, Sie hatten gerade schon Kinderspiele erwähnt. Womit verbrachten Sie Ihre Kindheit im Höhenblick sonst noch?
Müller: Meine besten Freundinnen wohnten ebenfalls im Höhenblick. Das Umfeld der neuen Häuser war sehr schön: nur 10 bis 15 Minuten Fußweg über wogende Kornfelder und Wiesen bis zur Nidda. Im Winter sind wir auf den Äckern Ski gefahren. Aber auch die Erwachsenen genossen die Umgebung der Siedlung Höhenblick. Wir sind oft zusammen spazieren gegangen. Vater hatte Drachen für uns gebastelt, die wir in den Nidda-Wiesen steigen ließen. Außerdem gab es neben dem Haus der Familie von Martin Elsaesser einen Spielplatz mit Wippen, Barren, Reck und Dauerlaufbahn. Man war damals sehr sportlich. Im Gegensatz zu heute, ist man aber nicht auf dem Bürgersteig joggen gegangen – dafür wäre man belächelt worden und man hätte sich gedacht, das ist ein Spinner, der nicht geht, wie es sich gehört.
Treutlein: Lassen Sie uns einen kleinen Zeitsprung machen. 1944 fielen Bomben auf die Häuser der Siedlung Höhenblick. Auch Ihre Familie war betroffen.
Müller: Ja, nach dem Großangriff auf Frankfurt am 22. April 1944 wurde noch eine Bombe, eine so genannte Luftmine, über „unser“ Fuchshohl abgeworfen, die alle Häuser der Straße zerstörte oder unbewohnbar machte. Das Feuermeer über Frankfurt kann ich nicht vergessen.
Treutlein: Wo haben Sie und Ihre Familie während der Bombardements Schutz gefunden?
Müller: Die weißen Häuser im Höhenblick wurden im Krieg zur Tarnung anthrazit gestrichen und auf Anweisung Hitlers wurden in den Kellern Luftschutzräume eingebaut. Auch in unserem Keller war die Decke mit Holzbalken verstärk und eine besondere Metalltüre wurde eingebaut. Dort saß ich mit meinen Eltern – mein Bruder Felix wurde bereits vor der Bombennacht mit den anderen Kindern seiner Schule im Spessart untergebracht – als die Bomben fielen. Der Einschlag durch die Luftmine war unglaublich laut. Wir wohnten in dem Teil der Straße, deren Häuser nur „schwergeschädigt“ waren, da Fenster und Türen samt Rahmen weggerissen wurden. Wohin? Das war mir ein Rätsel. Die Häuser auf der anderen Straßenseite brannten zusätzlich. Der Luftschutzkeller war der einzige Raum im Haus, in dem wir alles überstehen konnten.
Im nördlichen Teil des Fuchshohls waren wie weggefegt und die Menschen starben unter den Trümmern der Häuser in den Kellern.
Auch das ganz in unserer Nähe gelegene Haus vom Fotografen Alfred Tritschler war total zerstört (Fuchshohl 27). Seine Frau Hedwig konnte nur tot geborgen werden. Er selbst war am Tag des Bombardements als Soldat an der Front. Während eines Fronturlaubs sah ich ihn ganz verzweifelt auf den Trümmern seines Hauses sitzend, was mich sehr bewegte.
Treutlein: Gab es einen Ort, an dem Sie nach all diesen schrecklichen Erlebnissen Unterschlupf fanden?
Müller: Zunächst lebten wir für etwa vier Wochen im Keller unseres zerstörten Hauses im Fuchshohl 35. Zum Glück gab es in der Waschküche noch die Toilette. Wasser musste am Hydrant geholt werden. In allen Stadtteilen waren Essensausgaben eingerichtet worden, wo man kostenlos versorgt wurde. Nach dem Bombeneinschlag kam ich zusammen mit den drei Klassen der Oberstufe meiner Schule (Elisabethenschule) im Rahmen der „Kinderlandverschickung“ in einer Pension in Hochwaldhausen im Vogelsberg unter. Meine Eltern konnten zwischenzeitlich in einem Zimmer bei Nachbarn beziehen.
Während des Krieges hatten wir keinen Hunger, aber danach. Mein Vater veräußerte das Silberbesteck und die Märklin-Eisenbahn meines Bruders, um von dem Geld Essen kaufen zu können. Er war ein Optimist und sagte, dass wir diese Dinge wieder bekommen können, wenn alles aufgebaut ist.
Treutlein: Aber den Wiederaufbau erlebte Carl-Hermann Rudloff nur in den Ansätzen. Er starb bereits am 7. Juni 1949. Haben Sie die Wiederherstellung der Siedlung Höhenblick verfolgt?
Müller: Nach Vaters Tod zog meine Mutter mit Felix, Armin und mir in eine Wohnung in Bockenheim. Zeit, um den Wiederaufbau zu verfolgen, hatte ich damals nicht. Als ich in den 1960er Jahren wieder einmal im Höhenblick war, stellte ich fest, dass im Wiederaufbau die Häuser sehr verändert wurden und alles sehr uneinheitlich war. Es war nicht mehr die Siedlung, die mein Vater gebaut hatte. Ihre Atmosphäre hatte sie verloren.
01.07.2021, Ruth Müller im Gespräch mit Christina Treutlein
der sintrax-kaffeebereiter – das exponat des monats


„Eine Küche ist eigentlich nichts anderes als ein Laboratorium […] sie müsste aussehen etwa wie eine Apotheke […]“, schrieb Margarete Schütte-Lihotzky 1921 in der Zeitschrift Schlesisches Heim. Als sie fünf Jahre später ab 1926 mit ihren Kollegen im Hochbauamt an der Frankfurter Küche arbeitete, hatte ihre Vision die Küchengestaltung beeinflusst. Die verglasten Schiebetüren und die Schütten für einzelne Zutaten sind der Apothekenausstattung entlehnt.
Aber auch an anderer Stelle beeinflussten Apotheken und Labore den neuzeitlichen Haushalt der 1920er Jahre. Mit dem Sintrax-Kaffeebereiter zog sogar ein Laborgerät in die Küchen ein. Als Vorbilder des Kaffeebereiters gelten die Glasfiltergeräte für Forschungs- und Industrielabore, welche die Firma „Jenaer Glaswerk Schott & Gen.“ herstellte. Beeinflusst von diesen Geräten entwarf Gerhard Marcks 1924/1925 für die Firma aus Jena einen neuen Kaffeebereiter, der ab 1928 in Serie hergestellt wurde. Marcks (1889-1981) war Leiter der Keramikwerkstatt am Bauhaus und so überrascht es nicht, dass die Gestaltungsideale der Schule auch das Design des Kaffeebereiters prägten. Statt den bauchigen Vasenformen traditioneller Kaffeekannen verwendete Marcks geometrische Grundformen und formte das neue Gerät, indem er die beiden Hälften einer auseinandergeschnittenen Kugel verkehrtherum übereinandersetzte.
Der Sintrax-Kaffeebereiter basiert auf dem System der Vakuumbereiter. In den unteren Behälter wird Wasser und in den oberen Kaffeepulver gefüllt. Anschließend legt man auf den oberen Teil den Deckel (fehlt bei diesem Exponat) und setzt beide Behälter aufeinander, wobei die rote Gummidichtung in der Mitte für einen luftdichten Verschluss sorgt. So kann ein Vakuum entstehen, wenn der Kaffeebereiter im nächsten Schritt auf die heiße Herdplatte gestellt wird. Kocht das Wasser im untern Behälter, steigt es über das mittige Glasrohr hinauf in den oberen Bereich und vermischt sich mit dem Kaffeepulver. Nun muss die Sintrax vom Herd genommen werden, so dass die Luft im unteren Behälter abkühlen kann. Aufgrund des Vakuums wird der fertige Kaffee durch den eingebauten Filter aus Kunststoff wieder nach unten gezogen und er kann serviert werden.
1932 überarbeitete Wilhelm Wagenfeld (1900-1990) Marcks‘ Entwurf geringfügig an Deckel und Griff. Statt des ursprünglich U-förmig gebogenen Griffs bekam die Sintrax nun einen geraden Stiel als Griff mit einem Metallfederring, wie bei dem hier ausgestellten Modell. Es ist die einen halben Liter fassende, kleinere Variante der Sintrax, die es auch für einen Liter Kaffee gab. Im Vergleich zum Perkulator (Exponat des Monats Januar 2020) kann man bei der Sintrax die Herstellung des Kaffees beobachten, denn sie besteht aus hitzebeständigem Jenaer Borosilikatglas, das von Otto Schott 1887 für die Anwendung im chemischen und pharmazeutischen Bereich entwickelt wurde. Der Name Sintrax ist ein zusammengesetztes Kunstwort der aus der Chemie stammenden Begriffe Sintern und Extrahieren.
Im Forum Neues Frankfurt (Hadrianstraße 5, 60439 Frankfurt am Main) können Sie die kleine Schaufenster-Ausstellung besuchen.
01.04.2021, Christina Treutlein, ernst-may-gesellschaft
zwischenspiel: wie wohnen alte menschen. das henry und emma budge-heim

Aus dem Bauhaus Museum Dessau: Das Zwischenspiel blickt auf eine Fragestellung, die vom Neuen Bauen weniger beachtet wurde: das Leben und Wohnen älterer Menschen. Finanziert mithilfe der Stiftung der jüdischen Bankiersfamilie Emma und Henry Budge, schrieb Das Neue Frankfurt unter Ernst May 1928 einen einmaligen Wettbewerb des Neuen Bauens aus: Entstehen sollte ein Seniorenheim für jüdische und christliche Bewohner*innen des „gebildeten Mittelstands“. Gewonnen haben die Architekten Mart Stam, Werner Moser und Ferdinand Kramer. Über Mart Stam floss dieses Projekt 1928/29 in den Unterricht der Bauabteilung des Bauhauses ein. 1930 – 1931 produzierte Ella Bergmann Michel im Auftrag von Mart Stam einen Dokumentarfilm über das Heim.
Anlässlich des 100. jährigen Bestehens der Henry und Emma Budge-Stiftung erzählt das Zwischenspiel die bewegte Geschichte des Heims von seinem Bauprozess über die NS- und Kriegszeit bis in die Gegenwart.
Bauhaus Museum Dessau | Zwischenspiel: Wie wohnen alte Menschen. Das Henry und Emma Budge-Heim – YouTube
Filmstill: “Wie wohnen alte Menschen”, 1931 © (Ella Bergmann-Michel) Sünde Michel
01.04.2021, ernst-may-gesellschaft
wenn schon nicht fernreisen, dann vielleicht in die ferne lauschen?

Das MAK Wien präsentiert auf seiner Website die wunderbare Audioserie “Nachdenkereien” über Objekte aus der eigenen Sammlung. Eines der, hoffentlich bald wieder bei einem Wienbesuch in der Dauerausstellung zu besichtigenden, Sammlungsstücke ist das von Margarete Schütte-Lihotzky 1925 gestaltete Wohnschlafzimmer für Karoline Neubacher. Dieser, auf den ersten Blick besonders durch das verarbeitete Nussbaumholz, mondän wirkende Raum zeigt Gestaltungsprinzipien, die wenig später auch in der Frankfurter Küche angewendet werden.
Aber hören Sie dazu und darum herum am besten selbst: https://soundcloud.com/makwien/10-a-room-of-her-own-final
Foto: Dörte Lyssewski und Till Firit © Sabine Hauswirth/MAK Wien
05.11.2020, Ulrike May, ernst-may-gesellschaft
vor 50 jahren
hat in der city von morgen das auto eine chance?
ernst may im gespäch mit der adac motorwelt
Wird der Straßenverkehr in den Stadtkernen noch wesentlich anwachsen?
Ernst May: Ja, denn die Verstopfungen genügen noch nicht, die Menschen zu veranlassen, in die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen. Durch die unmöglichen Zustände auf den Straßen wird man ganze Stadtteile für den Privatautoverkehr sperren.
Sehen Sie Möglichkeiten, die täglichen Verkehrsspitzen zu verringern?
EM: Gewiß: Staffelung von Arbeitsbeginn und -ende. Das bedeutet jedoch einen in seinen Ausmaßen kaum abzusehenden Eingriff in das Familienleben des einzelnen Bürgers und ist deshalb wohl nicht allgemein durchführbar.
Kann man vorhandene Stadtstraßen durch moderne Verkehrslenkung leistungsfähiger machen?
EM: Wenn der Verkehr von zentraler Stelle gelenkt wird, können die Straßen durchaus noch leistungsfähiger gemacht werden. Trotzdem ist bei ungehinderter Zunahme der Fahrzeuge ein allgemeiner Verkehrszusammenbruch unvermeidlich.
Wie kann man noch mehr Verkehrsflächen in der City schaffen?
EM: An einen Abriß von Gebäuden ist kaum zu denken. Hingegen wird man in den nächsten Jahren noch mehr versuchen, Hochstraßen zu bauen. Sie sind billiger als Tiefstraßen, durch die man allerdings mehr Verkehrsfläche gewinnt, weil es da keine störenden Pfeiler oder Stützen gibt.
Sollen eigentlich mehr Stadtstraßen gebaut oder die Massenverkehrsmittel verbessert werden?
EM: Dem Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel ist unbedingt der Vorzug zu geben.
Können Massenverkehrsmittel vom Preis oder von der Technik her attraktiver gemacht werden?
EM: Weitgehend nur durch technische Verbesserungen!
Werden erhöhte Parkgebühren die Autofahrer davon abhalten, in die City zu fahren?
EM: Erhöhte Parkgebühren werden keinen Einfluß auf das Verkehrsaufkommen haben und sind übrigens denkbar unsozial.
Werden die Menschen im Grünen oder lieber nahe der Arbeitsstelle in Hochhäusern wohnen wollen?
EM: Zweifellos würde mit dem Bau von mehr Wohnhochhäusern im Zentrum der Berufsverkehr entlastet und zugleich rationeller gestaltet. Der Drang, im Grünen zu wohnen, wird sich jedoch selbst dann durchsetzen, wenn dafür noch längere Verkehrswege in Kauf genommen werden müssen.
Wird das Verbot des Benzinmotors und dafür der Elektromotor kommen?
EM: Ein Verbot für die Benutzung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor kommt bestimmt, da die Verpestung der Luft mehr und mehr gesundheitsgefährdende Ausmaße annimmt.
Quelle: ADAC motorwelt, 7/1970, S. 25-26
31.07.2020, ernst-may-gesellschaft
emg erhält
bda-auszeichnung für baukultur in hessen 2019/20

Der Bund Deutscher Architekten (BDA) Hessen verlieh am 27. Februar 2020 der ernst-may-gesellschaft, Nikolaus Heiss, Dr. Alexander Klar, dem Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen und der Universität Kassel, Abteilung Bau Technik Liegenschaften, gemeinsam mit dem Land Hessen, vertreten durch das LBIH die BDA-Auszeichnung für Baukultur in Hessen. „Durch ihr Tun“, so der BDA, „haben die Ausgezeichneten der Baukultur und damit der Gemeinschaft einen großen Dienst erwiesen.“
Wir freuen uns sehr über diese Anerkennung und sehen diese als Ansporn, auch in diesem Jahr wieder mit einem breiten Veranstaltungsangebot den Architekturdiskurs nicht nur zum Neuen Frankfurt zu fördern.
Weitere Informationen zur Preisverleihung und den Preisträgern können Sie auf der Website des BDA Hessen nachlesen:
https://www.bda-hessen.de/2020/03/bda-auszeichnung-fuer-baukultur-in-hessen-2019-2020-vergeben/
(Foto: Jason Sellers, Wiesbaden)
05.03.2020, Christina Treutlein, ernst-may-gesellschaft
neue infotafel an mays geburtshaus
kulturdezernentin dr. ina hartwig erinnert an den 1886 geborenen stadtplaner


Am 6. Februar weihten Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig und Geschäftsführer der ernst-may-gesellschaft Philipp Sturm die Erinnerungstafel für Ernst May an dessen Geburtshaus in der Sachsenhäuser Metzlerstraße 34 ein. Am 27. Juli 1886 wurde May geboren. In seiner Ägide als Stadtbaurat entstanden zwischen 1925 und 1930 etwa 15.000 neue Wohneinheiten in 25 Frankfurter Siedlungen.
Die Frankfurter Rundschau berichtet.
(Fotos: emg, Peter Paul Schepp)
06.02.2020, Philipp Sturm, ernst-may-gesellschaft
felderregung in der römerstadt
der saba-lautsprecher der rundfunk-zentralanlage


Rundfunk zur Unterhaltung gab es in Deutschland erstmals am 28. Oktober 1923 in Berlin. Die erste Sendung des Frankfurter Senders „Südwestdeutscher Rundfunkdienst“ wurde am 1. April 1924 um 20 Uhr ausgestrahlt. Es ist dem Geschick des ersten künstlerischen Leiters Hans Flesch zu verdanken, dass sich der Frankfurter Sender zu den innovativsten in Deutschland entwickelte. Eine wichtige Grundlage für diese fulminante Entwicklung war aber auch die Förderung des Ausbaus der neuen Medien durch Oberbürgermeister Ludwig Landmann. Ein Magistratsbeschluss vom 22. Juni 1925 spricht dem Frankfurter Sender eine wichtige Bedeutung bei der Entwicklung der Stadt zum kulturellen Zentrum in Westdeutschland zu.
Das Interesse an der neuen Technik war enorm, weshalb man in den Wohnungen des Neuen Frankfurt Rundfunkvermittlungsanlagen installierte. Die erste Rundfunk-Zentralanlage wurde in Niederrad gebaut. Sie nahm am 1. Oktober 1927 den ständigen Betrieb auf. 650 Wohnungen waren angeschlossen, 80 % der Mieter waren Rundfunkteilnehmer. Eine zentrale Antenne in der Siedlung nahm die hochfrequenten Wellen auf und an den einzelnen Teilnehmer wurde nur noch niederfrequente Energie weitergeleitet. Die Weiterleitung der Signale zu den einzelnen Häusern erfolgte über Kabel in die Keller. Steigleitungen aus Blei führten in die Stockwerke. Von den Steigleitungen wiederum zweigten die Zuleitungen in die Wohnungen ab, in denen sich eine Steckdose für den Lautsprecher befand. Die Steckdosen waren verplombt, und eine dahinter liegende Schmelzsicherung sorgte dafür, dass sich ein Kurzschluss nicht auf das gesamte Netz auswirkte.
Der hier vorgestellte Radio-Lautsprecher ist das Modell „DINO P“ mit eingebautem Transformator der Firma SABA aus dem Jahr 1931/1932. Im Gegensatz zu den heute erhältlichen Radios waren bei den frühen Modellen der Lautsprecher und der Empfänger noch nicht in einem Gehäuse vereint. Wie man der nebenstehenden Anzeige entnehmen kann, waren diese beiden Geräte separat zu kaufen. Da es sich bei unserem Gerät lediglich um einen Lautsprecher handelt, sind daran weder ein Ein-/Aus-Schalter noch ein Lautstärkeregler zu finden. Diese Knöpfe befanden sich an einem zwischen geschaltetem Gerät, über das man diesen Lautsprecher mit der Radio-Steckdose verbinden konnte. Die Radio-Steckdose im ernst-may-haus, dem Musterhaus des Neuen Frankfurt, befindet sich im Wohnraum links neben dem Fenster.
Der am Lautsprecher vorhandene Stecker trägt den Aufdruck „Felderregung“. Frühe Lautsprecher wie dieser hatten meist eine elektrodynamische Felderregung, die der Anodenspannung entnommen wurde, denn bis 1935 waren starke, bezahlbare Dauermagneten noch selten. Aus diesem Grund wurden Elektromagneten in den Lautsprechern verwendet (laut Schaltplan 250 V Gleichstrom).
Ein Radio zu besitzen, war um 1930 noch ein großer Luxus, denn man musste allein für den Lautsprecher 51 Mark bezahlen (durchschnittlicher Arbeitermonatslohn: 250 Mark). Dafür, so verspricht es die Werbung, konnte man mit einem solchen Gerät eine „ganz besonders hochwertige Klangwiedergabe“ genießen und erstmals gemütlich vom Wohnzimmer aus einem live übertragenen Konzert lauschen.
(Abbildungen: emg, Philipp Sturm & Christina Treutlein)
29.01.2020, Christina Treutlein, ernst-may-gesellschaft mit technischen Informationen von Andreas Klös
aus dem dornröschenschlaf geweckt
neue nutzung für adolf meyers e-werk


„Die Städtischen Elektrizitätswerke Frankfurt a. M. errichten auf dem ca. 12000 qm großen Gelände Gutleutstraße 280 einen Neubau, welcher die Magazine und Werkstätten, außerdem die Bauabteilung für den Ausbau und den Betrieb der Kabelnetze, Transformatoren- und Schaltstationen sowie Laboratorien-, Eich- und Lagerräume des elektrischen Prüfamtes aufnehmen soll.“ Mit diesen nüchternen Worten beschrieb Adolf Meyer in der Ausgabe 3/1929 der Monatsschrift „Das neue Frankfurt“ eines seiner Projekte. Als Leiter der „Abteilung B“ der städtischen Bauberatungsorgte der gebürtige Mechernicher von 1925 bis 1929 dafür, dass „Das neue Frankfurt“ durch seine Funktionsarchitektur mehr war als „nur“ ein Wohnungsbauprogramm.
„Für die Zukunft rechtzeitig Sorge zu tragen“
Die Gründe für den Neubau der Elektrizitätswerke klingen auch heute, da die Stadt Frankfurt mit hoher Dynamik wächst, noch aktuell. Meyer erläuterte seinerzeit: „Das Anwachsen der Bevölkerung und die dadurch bedingte planmäßige Vergrößerung des Stadtganzen stellt jede Großstadt vor die Aufgabe, die lebenswichtigen Betriebe und Industrien auf der jeweils geforderten Leistungsfähigkeit zu erhalten und darüber hinaus für die Zukunft rechtzeitig Sorge zu tragen.“
Ein neues Ausbildungszentrum
Heute im Jahr 2019, 90 Jahre später, ist die Gutleutstraße 280 einer der Betriebsstandorte der Mainova AG, als Nachfolgeunternehmen der Frankfurter Elektrizitätswerke. Viele der von Meyer aufgezählten Funktionen sind hier nach wie vor vertreten. Und der Energiedienstleister hat vor wenigen Wochen eine weitere Facette hinzugefügt. Sie hat viel mit der von Meyer formulierten „Sorge für die Zukunft“ zu tun. Unter zwei der charakteristischen Tonnendächer des Funktionsbaus befindet sich nun die Heimat für ein Ausbildungszentrum. Bei der Eröffnung waren die Gäste beeindruckt von der besonderen Verbindung von Vergangenheit und Zukunft: Moderne Werkstätten für Elektronik, Automation oder Metall auf der einen Seite. Auf der anderen historische Relikte wie ein Aufzug von 1928 – nun mit überholter Steuerungstechnik – oder Fenster, die sich mit Handkurbeln öffnen lassen. Genauso wie zur Zeit von Adolf Meyer. Die Baumaßnahme wurde in enger Absprache mit dem Denkmalschutz durchgeführt. Mainova-Vorstand Lothar Herbst sagte bei der Eröffnung im Septmeber mit Verweis auf die vorherige Nutzung als Lager mit einem Augenzwinkern: „Statt einer denkmalgeschützten Rumpelkammer können wir jungen Menschen nun eine berufliche Perspektive in einem modernen Ausbildungszentrum bieten. Das Gebäude ist aus seinem Dornröschenschlaf erwacht.“ Rund 120 Auszubildende aus drei Lehrjahren werden hier zukünftig in neun gewerblichen Ausbildungsberufen ausgebildet. Die Maßnahme wäre vermutlich in Meyers Sinn gewesen, war er doch als Lehrer an der Frankfurter Kunstschule aufgeschlossen für die Förderung des Nachwuchses.
(Abbildungen: Mainova AG)
16.10.2019, Jürgen Mai, Redakteur Mainova AG Unternehmenskommunikation
das musikalische frankfurt
eine glosse von 1927 – gibt es parallelen zum frankfurter orchester von heute?

Befürchten Sie nichts Kritisches, verehrtes Publikum, es soll hier weder vom Max-Reger-Fest die Rede sein, noch von dem Konzert, das in diesem Sommer durch die papuanische Hofkapelle in der Festhalle gegeben wird, es soll nicht einmal von dem populärsten und meist angeschwärmten Musiker Main-Athens, von Professor Krauß, die Rede sein, sondern lediglich von der „Musikalität“ Frankfurts.
Keine zweite Stadt im deutschen Vaterlande, Donaueschingen ausgenommen, besitzt soviel musikalisches Gefühl wie wir Frankfurter. Wir reden in Dur und in Moll und in Sachsenhäuserisch. Früher gab es noch einige Tonarten auf der Altegasse, in Bornheim und auf der Bockenheimergasse, die selbst die Leute von außerhalb als die berühmte Frankfurter „Freßgasse“ kennen. Aber dieser musikalische Föderalismus verschwindet immer mehr zugunsten zweier Tonarten: die eine wird von den Frankfurtern gesprochen und die andere von den Leuten nördlich und südlich der Mainlinie. In Moll spricht man an der Börse, wenn die Kurse in die Höhe gehen, in Dur in den Volksversammlungen wenn Stadtrat May, Zick-Zackhausen, Gewerbesteuern, Kolhlenfeldern, Elektrizitätsumstellung, Hauszinssteuer, Portoerhöhung und ähnlichen Dingen die Rede ist. Die hohe musikalische Begabung der Frankfurter zeigt sich besonders in ihrem Stadtparlament. Dort spielen gewisse Leute die erste Geige, andere blasen ins gleiche Horn, die kommunistische Fraktion verfügt dort über einen Solisten, der an den bürgerlichen Parteien so wenig wie am Magistrat einen guten Ton läßt und wenn eins der großen Messekonzerte im Bürgersaal stattfindet, dann wird regelmäßig die Wut über den verlorenen Steuergroschen aufs Programm gesetzt und dann hängt dem Magistrat der Himmel voller Geigen. Es gibt auch einen Posaunenchor, der zwar nicht die Mauern von Jericho, aber den ganzen Haushaltsplan umgeblasen hat, in den Fraktionen werden regelmäßig Kammerkonzerte veranstaltet, bei denen die Flageolettöne dem Magistrat beigebracht werden. Im Magistrat herrscht große Harmonie. Er bildet einen geschlossenen, gut eingestimmten Tonkörper, es gibt dort auch Neutöner, der Dirigent Landmann hat aber sein Orchester immer fest in der Hand und läßt Unstimmigkeiten nicht aufkommen. Ebenso geschätzt wie die Schnabelflöte im Stadtparlament ist neuerdings die große Trommel im Magistrat, dazu kommt das Bombardon der Sparsamkeit, das manchmal aussetzt, wenn die Ventile undicht werden, was öfters vorkommt und sehr viel Geld kostet. Während man im Bürgersaal mehr für konventionelle Musik schwärmt, ist die neue Fortschrittsmusik im Römer bei den Dienstagsmatineen des Magistrats beliebter. Jazz und Foxtrott wechseln ab mit Variationen über Millionenforderungen, aber die Instrumentalwirkung ist trotz der Sirenenklänge der Zukunftsmusik nicht so erfolgreich wie bei dem Orchester der Aedilen, denn diese verfügen über ein Boschhorn und dieses werk- und geräuschvolle Instrument hat der Magistrat noch nicht. Dafür macht er aber, wenn es zu musikalisch im Bürgersaal zugeht, gelegentlich eine Generalpause und verschwindet sang- und klanglos. Es werden Symphonien und Kakophonien gespielt, wenn sie aber Unisono spielen, dann kommt das Konzert die Steuerzahler meist teuer zu stehen.
Jetzt wird man auch verstehen, weshalb wir einen Sommer der Musik veranstalten. Wir sind musikalische Leute und brauchen unsere Fähigkeiten nicht unter den Scheffel zu stellen. Und wir wollen nicht nur die Stadt Goethes, Rothschilds, des Aeppelweis und der Frankfurter Würschte sein, wir wollen auch gute Musikanten – für den Fremdenverkehr sein.
Francofurtus.
(Quelle: Beiblatt der Frankfurter Nachrichten, 2. Mai 1927)
(Abbildung: Sommer der Musik, 1927, Gestaltung: Hans Leistikow)
10.10.2019, ernst-may-gesellschaft
die zimmerlinde – trendpflanze der 1920er jahre
das exponat des monats im forum neues frankfurt (hadrianstraße 5, frankfurt am main)


Die düsteren und überbelegten Wohnungen des 19. Jahrhunderts waren nicht nur für ihre menschlichen Bewohner ungesund und viel zu eng, für Zimmerpflanzen waren sie gar lebensfeindlich. Dekorative und exotische Pflanzen zu halten, blieb bis dato ein Privileg der Reichen und Adeligen, die für ihre Gewächse Winter- und Palmengärten bauten. Erst mit den Wohnreformen Anfang des 20. Jahrhunderts tauchen Zimmerpflanzen in den Wohnungen der ganz normalen Arbeiterfamilien auf. Ewas weniger exotische Zimmerpflanzen können deshalb auch als ein Symbol für die Demokratisierung des Wohnens und der Gesundung der Wohnverhältnisse gesehen werden. Bezahlbare und gesunde Wohnungen für Alle zu schaffen, war das Ziel von Oberbürgermeister Ludwig Landmann, seinem Stadtbaurat Ernst May und dem großen Architektenteam des Neuen Frankfurt, die in nur fünf Jahren ca. 12.000 Wohnungen entstehen ließen. Es verwundert nicht, dass auf den Fotografien von Innenräumen aus dem neuen Massenwohnungsbau der Jahre 1925 bis 1930 Zimmerpflanzen zu sehen sind. Sie waren mehr als nur dekorative Staffage. Die Pflanzen symbolisieren Licht, Luft und Sonne – ihre Lebensgrundlage und gleichzeitig das Motto des Neuen Frankfurt. Auf der Fotografie des Wohnraums der Musterwohnung der Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen, die auf der Ausstellung „Die neue Wohnung und ihr Innenausbau“ 1927 zu sehen war, steht mitten auf dem Esstisch eine Zimmerlinde. Neben den heute wieder ein Revival erfahrenden Kakteen erfreute sie sich in den 1920er Jahren einer besonders großen Beliebtheit und hätte zweifelsohne mit dem Begriff „Trendpflanze“ betitelt werden können.
Die Zimmerlinde (Sparrmannia africana) ist eine eher schlichte Pflanze, die weder mit spektakulären Blüten, noch mit kunstvoll gemustertem Laub aufwerten kann und vielmehr mit ihren markanten großen, hellgrünen Blättern besticht. Ihre herzförmigen Blätter sind mit einem zarten Flaum überzogen, der das aus Südafrika stammende Gewächs vor Hitze schützt. Deshalb liebt die schnell wachsende Pflanze auch in unseren Wohnungen einen hellen Standort. Im Sommer kann sie sogar ins Freie gestellt werden. Die Blüten der Zimmerlinde sind recht klein mit weißen Blütenblättern und roten Nektarien. Neben den vielen Abbildungen von Zimmerlinden in der Architekturfotografie ist ihre Erwähnung in Karl Diebolders 1930 erschienenen Buch „Die besten Zimmerpflanzen und ihre Pflege. Eine Anleitung zur Erziehung und Behandlung der schönsten und dankbarsten Topf- und Kübel-Gewächse für unsere Wohnräume“ ein Beleg für ihre große Beliebtheit.
(Abbildungen: emg, NL Rudloff & Philipp Sturm)
09.09.2019, Christina Treutlein, ernst-may-gesellschaft
“das mädchen für alles”
warum die römerstadt ein vorreiter der energieversorgung war


„Die Hauptsache ist die Elektrizität. Natürlich der neue Drehstrom, 220 Volt. Er ist im neuen Heim das ‚Mädchen für alles’: kocht die Suppe, brät das Fleisch, backt den Kuchen, heizt das Bad und das Spülwasser – und leuchtet natürlich auch.“ So schilderte der Frankfurter Generalanzeiger 1928, was zur damaligen Zeit ein Novum war. Denn die von Ernst May konzipierte Siedlung Römerstadt war eine der ersten vollelektrifizierten Siedlungen in Deutschland. Für die Bewohner, die bis dato in der Regel eine Küche mit Gasherd gewohnt waren, stellte ein elektrischer Haushalt absolutes Neuland dar. Um sie im Umgang mit den Geräten zu schulen, wurde vor Ort eine Beratungsstelle mit Lehrküche eröffnet.
Der Frankfurter Streitschriftenkrieg
Rund um die Vollelektrifizierung entwickelte sich ein bizarrer Streit zwischen der – über die einseitige Energieversorgung nicht besonders glücklichen – Frankfurter Gasgesellschaft und den städtischen Ämtern, die für die elektrische Versorgung warben. Den Anfang machte eine Denkschrift „Der elektrische Haushalt in der Siedlung Römerstadt“, die unter anderem hygienische Gründe als Vorteile anführte. Diese wurde durch die Gasgesellschaft mit einer „Kritik“ erwidert, die vor allem Interessen der Elektroindustrie unterstellte. Es folgte eine „Gegenäußerung“ der Ämter, eine „Richtigstellung“ der Gasgesellschaft, die wiederum eine „Berichtigung der Richtigstellung“ nach sich zog. Der Schlagabtausch hätte wohl noch länger angedauert. Doch Oberbürgermeister Ludwig Landmann sprach 1929 ein Machtwort und beendete den Streitschriftenkrieg.
Ein Streit wie damals ist heute undenkbar, denn seit 1998 sind die Sparten Strom und Gas bei der Mainova AG unter einem Dach vereint. Die vollelektrifizierte Römerstadt ist einer von vielen Berührungspunkten, die wir mit der Ära des „Neuen Frankfurts“ haben. So nutzen wir die in dieser Zeit entstandenen Umspannwerke in der Thielenstraße oder der Lübecker Straße noch heute für die zuverlässige Energieversorgung in Frankfurt. Und die Kollegen im Heizkraftwerk West passieren jeden Morgen den Eingang der Max-Cetto-Halle, die heute Werkstätten der Mainova AG beherbergt.
(Abbildungen: Chronik Mainova AG / ISG – Institut für Stadtgeschichte)
08.08.2019, Jürgen Mai, Redakteur Mainova AG Unternehmenskommunikation
licht im may-haus
poul henningsens ph-leuchte aus dem jahr 1926


Das mayhaus ist wieder um ein Exponat reicher! Im Schlafzimmer, über dem elterlichen Ehebett schwebt seit einer Woche eine leichte, weiße, gläserne Lampe wie ein Vogel. Die PH-Leuchte wurde von Poul Henningsen, einem dänischen Architekten, Designer, Schriftsteller und Journalisten, entworfen.
Poul Henningsen wurde am 9. September 1894 in Ordrup, Dänemark als unehelicher Sohn der Autorin und Schauspielerin Agnes Henningsen geboren und starb am 31. Januar 1967 in Hillerod, Dänemark. Seiner Mutter verdankte er seine Hingabe zu gutem Licht, weil schlechtes Licht sie ihrer Meinung nach hässlich erscheinen ließ. Deshalb suchte und forschte Poul Henningsen schon im Alter von 19 Jahren nach Licht, „das Schönheit bestmöglich hervorhebt“ und blendfrei ist. Nach einem 6-jährigen Architekturstudium, das er ohne Abschluss beendet, versucht er sich als Erfinder und Maler. Als Architekt ist er ein eifriger Verfechter des Funktionalismus.
Erste Ergebnisse seiner Leuchtenentwürfe präsentiert der Autodidakt ab 1921 – und vier Jahre später dann auf der Weltausstellung in Paris, der Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes.
Der Durchbruch gelingt ihm im Winter 1926. Mit dem Hersteller Louis Poulsen & Co. produziert er erstmals die hier ausgestellte Leuchte mit den drei Schirmen, die heute noch nahezu identisch hergestellt wird. Als weiße Vögel beschreibt eine Zeitschrift die Leuchten, die sich schon im ersten Produktionsjahr rund 12.000 Mal allein in Dänemark verkauft. Henningsen spricht nicht von Vögeln, sondern tauft seine Entwürfe weniger poetisch nach seinen Initialen: „PH“. Die Zahl in der Modellbezeichnung gibt den Durchmesser des größten Leuchtenschirms in Dezimeter wieder.
Er konstruierte ein außerordentlich flexibles Lichtsystem, bei dem jede Leuchte mit einem aus mehreren Segmenten bestehenden Schirm ausgestattet ist. Diese Segmente werden je nach Einsatzzweck der Leuchte in Größe, Material und Oberfläche variiert und kombiniert. Ihre Proportionen leiten sich von der logarithmischen Spirale ab, einer in der Natur weitverbreiteten Struktur – von Schneckenhäusern über Tiefdruckwirbel bis zu Spiralgalaxien. Mit diesem Konstruktionsprinzip gelang es ihm, das direkte Licht perfekt abzuschirmen und gleichzeitig das indirekte Licht – abhängig von der Größe der Schirmsegmente, ihrer Positionierung zueinander und dem Abstand zur Glühlampe – gleichmäßig diffus zu streuen. Zunächst bestanden die Schirme noch aus Metall. Henningsen stellte ihnen aber bald auch Modelle mit mundgeblasenen Opalglasschirmen (wie bei dem hier ausgestellten) zur Seite, bei denen rund 12 Prozent des Lichts nach außen dringen und so mit einer weichen und diffusen Lichtverteilung zur Raumbeleuchtung beitragen. Die Innenseiten der Schirmsegmente sind durch Sandstrahlen mattiert, wodurch der Großteil des Lichts – ebenfalls blendfrei – nach unten gelenkt wird.
Die im Ernst-May-Haus ausgestellte Leuchte ist eine Schenkung der Firma Louis Poulsen & Co. GmbH Deutschland.
(Foto: Philipp Sturm)
01.08.2019, Roswitha Väth, Architektin und Vorstand der ernst-may-gesellschaft e.V.
auf schienen zum neuen frankfurt
die siedlungen besuchen mit bus, tram und u-bahn


In den 1920er Jahren wurde in Frankfurt am Main ein beispielloses Stadtgestaltungsprogramm umgesetzt, das unter dem Namen Neues Frankfurt in die Geschichte einging. Kern des Neuen Frankfurts war ein immenses Wohnungs- und Städtebauprogramm, bei dem von Anfang an auch der öffentliche Nahverkehr mitgedacht wurde.
Diesen engen Bezug zwischen Wohnen und Verkehr nahm das Forum Neues Frankfurt zum Anlass, gemeinsam mit der Frankfurter Grafikagentur Profi Aesthetics einen neuen Stadtplan zu entwickeln. Ein Orientierungsplan, der Sie einlädt, die Siedlungen und Baudenkmäler des Neuen Frankfurt zu besuchen. Die allermeisten Orte sind mit S-Bahn, U-Bahn oder Tram zu erreichen. Die Karte ist im ernst-may-haus, dem Forum Neues Frankfurt und dem Deutschen Architekturmuseum erhältlich.
Seit Anfang Juli und bis Ende des Bauhaus-Jahres sind nun auch ein Bus, eine Tram und eine U-Bahn der VGF auf Schienen und Straßen im Dienste des Neuen Frankfurt unterwegs. Sie nehmen dabei die Gestaltung des Stadtplans auf und werben so für die Ideen des Neuen Bauens der 1920er Jahre.
(Fotos: Salome Roessler, Philipp Sturm)
04.07.2019, Philipp Sturm, Forum Neues Frankfurt
“lieber eine kleine wohnung, als keine wohnung.” – ernst may, 1930
die ausstellungseröffnung “wie wohnen die leute”


„Bitte noch ein wenig weiter zusammenrücken, damit ich alle auf das Bild bekomme“, schallte es von Seiten der Fotografin, die sich auf einer kleinen Trittleiter positioniert hatte, um das traditionelle Gruppenfoto mit allen Stadtlaborant*innen anlässlich der Ausstellungseröffnung zu machen. Rund 70 Stadtlaborant*innen, teilweise aus Kultureinrichtungen, der Universität und der Fachhochschule sowie Bewohner*innen der Siedlungen, haben die Ausstellung gemeinsam mit den Kurator*innen und Gestalter*innen während einer Sommertour und diverser Workshops seit Mai 2018 vorbereitet und zu ihrem Gelingen beigetragen. Wie stolz ein jeder an dem Abend des 15. Mai, dem Abend der Eröffnung, war, transportierte die fröhlich und entspannt lockere Atmosphäre, die vorherrschte. Familienangehörige, Freunde, Bekannte und Interessierte, zirka 300 Personen, waren gekommen, um die Eröffnung mit den Kurator*innen und Co-Kurator*innen zu feiern.
Auch ich war an diesem Abend mit von der Partie. Pünktlich zum Aufbau und zur Eröffnung kehrte ich im Rahmen eines Werkvertrages, nach Abschluss meines Bachelorstudiums, wieder zurück an das Museum. Hier habe ich letztes Jahr während eines Praktikums die Sommertour begleitet. Von Anfang Mai bis Anfang September 2018 hat das Stadtlabor-Team 19 „Ernst-May-Siedlungen“ und vier Wohnhausgruppen besucht. Ich war gemeinsam mit Katharina Böttger, der Kuratorin der Stadtlabor-Ausstellung „Wie wohnen die Leute?“, mit dem Forschungsfahrrad in Praunheim, der Hügelstraße in der Heimat- und in der Friedrich-Ebert-Siedlung (ehemaliges Tornow-Gelände) unterwegs. Besonders spannend fand ich es daher zu sehen, in welcher Form das gesammelte Material aus dieser Zeit in die Ausstellung eingeflossen ist.
Mit viel Liebe zum Detail, Anekdoten und individuellen Bezügen präsentierten die Stadt-laborant*innen, nachdem die Ausstellung feierlich durch Worte des Direktors, der Kulturdezernentin und Kuratorin eröffnet wurde, ihre Beiträge. In den vier exemplarischen Wohnungsbautypen, die maßstabsgetreu als Themenräume zu den Aspekten Wohnen in der Siedlung, Nachbarschaft, Bezahlbares Wohnen, das neue (Um-)Bauen auf der Ausstellungsfläche des Stadtlabors im Historischen Museum nachgebaut sind, wurde lebhaft die aktuelle Wohnungsfrage diskutiert.
Dort erfuhr man, dass der Kastensolarkocher im Bezug zur historischen Kochkiste als Beispiel für energiesparendes Kochen steht und größere Flexibilität im Kochen bedeutet. Möchte man eine Mahlzeit für zwei bis drei Personen vorbereiten, sollten knapp drei Stunden veranschlagt werden. Vorausgesetzt es ist nicht allzu bewölkt.
Ein besonderes Highlight an diesem Abend war der Blick von oben auf das Stadtmodell. Im Themenraum Wohnen in der Siedlung bietet eine Treppe die Möglichkeit, auf ein kleines Plateau zu steigen, von dem aus man die Vogelperspektive auf das Ausstellungsgeschehen einnehmen kann. Es erweitert das ganz spezielle Gefühl von Raum, Rationalisierung und Typisierung, welches die Ausstellungsarchitektur mit den Typengrundrissen vermittelt. Zugleich kontrastiert es die „Enge“, die in den Frankfurter Kleinstwohnungen erfahrbar wird, vor allem an so einem vollen Eröffnungsabend.
(Fotos: HMF, Stefanie Kösling)
04.06.2019, Laura Zebisch, Team Stadtlabor, Historisches Museum Frankfurt
leistikow eagle
goes punk?

im namen ernst mays
wohnen für alle!


„Not in MAY name!“ skandierten gleich mehrere als Ernst May maskierte Demonstranten von der Bühne des Auditoriums im Deutschen Architekturmuseum. Sie nutzten die Eröffnung der Ausstellung „Neuer Mensch, Neue Wohnung. Die Bauten des Neuen Frankfurt 1925 bis 1933“ um auf ihr Anliegen, den Erhalt von Grünräumen aufmerksam zu machen und Kritik an hochpreisigem Wohnungsbau durch Investoren in Frankfurt zu üben. Diese Aktion verdeutlicht die Aktualität der Probleme und Fragestellungen zum Wohnungsbau in Frankfurt und auch das Bewusstsein über die historischen Errungenschaften des Neuen Frankfurt unter der Leitung von Ernst May.
Die Eröffnungsredner Dr. Marcus Gwechenberger und Peter Cachola Schmal griffen dies in ihren darauffolgenden Beiträgen auf. Weiteren Einwürfe und Entgegnungen führten zu einem sehr dynamischen Start in den Abend und machten allen Anwesenden die Aktualität der Veranstaltung deutlich.
Aber warum ist gerade die Eröffnung einer historischen Ausstellung zum Neuen Frankfurt der richtige Ort für das Stellen so dringender Fragen wie der nach bezahlbarem und gutem Wohnungsbau? Man will doch nach vorne blicken; in die Zukunft, und nicht in den Rückspiegel.
Dem Vorbild der Aktivisten, Ernst May und seinen Mitstreitern im Hochbauamt auf der Spur zeigt die Ausstellung, beginnend im Jahr des großen Wohnungsbauprogramms Mays´1925, die Errungenschaften und Veränderungen, die das Neue Frankfurt seiner Zeit zu einem einflussreichen und Programm mit Vorreiterrolle machten. Nicht nur die noch heute bestehenden Siedlungen werden anschaulich dargestellt, sondern auch die technischen, sozialen und gestalterischen Pioniertaten. Von der Elektrifizierung der Wohnungen über die Zentralwäscherei bis hin zur Gestaltung der Grünräume für Erholung, Ernährung und Sport wird deutlich, wie umfänglich und konsequent das Ziel verfolgt wurde, den Menschen vor allem auch denen mit geringem Einkommen ein besseres, modernes und bezahlbares Wohnumfeld zu bieten. Zu diesem Umfeld gehörten neben Bauten für die Bildung, Schulen und Kindergärten, auch Kirchen, Bauten für die Erholung und den Sport wie Schwimmbäder und das Waldstadion als auch Großbauten für Infrastruktur und Handel (Elektrizitätswerk und Großmarkthalle). Dieses ganzheitliche Programm des Neuen Frankfurt unter Mays Leitung kann der Besucher erkunden und sich vielleicht die Frage nach Analogien zur heutigen Situation stellen. Sei es nach dem Tempo der Errichtung von 12.000 Wohnungen in nur wenigen Jahren oder dem Bau des IG Farben Verwaltungsgebäudes (heute Campus Westend der Goethe-Universität) welches in einer Rekord Zeit von nur 18 Monaten errichtet wurde. Heute gibt es Flughäfen die nach 13-jähriger Bauzeit noch nicht fertiggestellt sind.
Was ist wenn man nach einem Äquivalent für die gemeinsame Radioanlage in der Siedlung Praunheim sucht. Für den Empfang in der eigenen Wohnung benötigten die Bewohner nur einen Stecker und Lautsprecher. Die zentrale Anlage ermöglichte Ihnen ein sehr exklusives Vergnügen. Ein kompletter Radioapparat hätte den Monatslohn eines Arbeiters verschlungen. Auf unsere Zeit im 21. Jahrhundert übertragen, bietet sich als Parallele der Zugang zum Internet. Verglichen mit dem in Praunheim gebotenen Standard, müsste im geförderten Wohnungsbau von heute flächendeckend freies Internet zur Verfügung gestellt werden. Dies scheint in der zeitgenössischen Planungs- und Baupraxis jedoch noch weit entfernt.
Wenn auch die Strategien, Typologien oder Handlungsweisen des Neuen Frankfurt sicherlich nicht eins zu eins in unsere heutige Zeit zu übersetzen sind, so können die Projekte des historischen Neuen Frankfurt doch Inspirationsquelle für einen zukunftsweisenden Wohnungsbau sein. Deshalb schlägt die Ausstellung eine Brücke zur gemeinsamen Initiative, „Wohnen für Alle“ des Dezernates für Planen und Wohnen der Stadt Frankfurt am Main, des Deutschen Architekturmuseums und der ABG Frankfurt Holding. In einem ersten Schritt konnten sich im Januar 2018 in einem europaweit ausgeschriebenen Architekturpreis Architekten mit von ihnen bereits realisierten, herausragenden und innovativen Projekten für bezahlbares Wohnen dafür qualifizieren, an einem Konzeptverfahren teilzunehmen. Die vier Gewinner des Verfahrens werden beauftragt, auf dem Hilgenfeld in Frankfurts Norden einen in seiner Qualität und Innovation exemplarischen, bezahlbaren Wohnungsbau zu errichten. Man erhofft sich von diesem Projekt eine Signalwirkung nicht nur für Frankfurt und möchte – nicht zuletzt mit dem Untertitel „Das Neue Frankfurt 2019“ – daran erinnern, dass viele zukunftsweisende Impulse im Wohnungsbau ursprünglich aus Frankfurt stammten.
Vielleicht können die ab dem 12.04. in der gleichnamigen Ausstellung im DAM gezeigten Entwürfe den Besuchern und den bei der Ausstellungseröffnung von „Neuer Mensch Neue Wohnung“ am 21.03. anwesenden Aktivisten zeitgenössische Umsetzungsweisen der Mayschen Ziele aufzeigen.
(Fotos: Philipp Sturm, Moritz Bernoully)
11.04.2019, Jonas Malzahn, Deutsches Architekturmuseum
der kleingarten vor der römerstadt
aktuelles und zukünftiges vom gartenteam


Anfang April ist die Gartensaison wieder eröffnet worden und wir als betreuendes Team des Kleingartens sind fleißig zwischen den Beeten, Hecken und Rabatten tätig. Im Februar hatten wir bereits Pferdemist aus Niederursel geholt und im Frühbeet als untere Schicht verteilt. Von der Wärme, die beim Verrotten des Mistes entsteht, profitieren Wirsing, Kohlrabi, früher Weißkohl und Salat, die derzeit im Frühbeet vorgezogen werden. Unweit davon – im Kräuterbeet – wachsen bereits kräftig Petersilie, Schnittlauch, Pimpinelle und Sauerampfer. Andere Pflanzen – Liebstöckel, Kerbel und Kresse – lassen dagegen noch auf sich warten.
Auch auf Schwarzwurzeln und frühe Karotten muss noch gewartet werden. Die Samen stecken jedoch bereits in der Erde, ebenso wie Erbsen der Sorte „Kleine Rheinländerin“ – eine niedrig wachsende frühe Schalerbse, von der wir im Vorjahr einige Körner für die diesjährige Aussaat zurückbehalten haben.
In den nächsten Wochen werden wir dann Weißkohl, Rotkohl und Gurken sowie alte Kartoffelsorten wie „Centifolia“ (1919) und „Voran“ (1931) anpflanzen. Im Mai kommen dann Stangenbohnen und die Buschbohne „Saxa“ hinzu.
In Anlehnung an die Dreifelderwirtschaft lassen wir die Bepflanzung jährlich rotieren. Wo im vergangenen Jahr noch die Busch- und Stangenbohnen standen, werden in diesem Jahr verschiedene Kohlsorten wachsen und sogenannte Schwachzehrer werden auf Mittelzehrer folgen. Im Spätsommer und Herbst geht es dann weiter: Steckrüben folgen auf Frühkartoffeln und Rote Bete auf die geernteten Erbsen.
03.04.2019, Katharina Rohloff und Jens Reuver, Team des Kleingartens
wohnungsnot und wohnungsbau im neuen frankfurt
ein plädoyer

In Frankfurt leben ungefähr 2.400 Menschen ohne festen Wohnsitz. Sie werden von der Stadt oftmals in Notunterkünften, Containern, Wohnwagen, Hotels und Heimen untergebracht. Nach offiziellen Angaben leben etwa 200 von ihnen auf der Straße.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. hat am 14. November 2017 ihre aktuelle Schätzung zur Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland vorgelegt: In 2016 waren ca. 860.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung – ein Anstieg um ca. 150 % im Vergleich zu 2014. Bis 2018 prognostizierten sie einen Anstieg auf 1,2 Millionen, und damit eine Steigerung um ca. 40 %.
In Anbetracht der ansteigenden Zahlen von wohnungslosen Menschen in Deutschland ist eine Auseinandersetzung um gute Modelle der Unterbringung essentiell. Welche Wohnkonzepte kann es geben, neben den temporären Containern, die den Menschen gerecht werden? Am Frankfurter Hauptbahnhof wird aktuell eine Ausstellung gezeigt, in der ehemalige obdachlose Jugendliche von ihren Erfahrungen berichten. Eine von ihnen erzählt: „Wir wollten beide weg von der Straße. Aber wenn du angeben musst, dass du obdachlos bist, ist die Wohnungssuche schnell vorbei.“
Ein Beispiel für die Unterbringung von wohnungslosen Menschen in Frankfurt ist das Howard-Philipps-Haus. Seit 1955 widmen sich die Mitarbeiter*innen der Aufgabe, wohnungslosen Männern in ihren vielschichtigen Geschichten und Alltagsproblemen zu unterstützen und ihre Ressourcen und Fähigkeiten zu stärken. Das Haus bietet insgesamt 23 Plätze. Davon sind 20 vollmöblierte Einzelzimmer in einem gemeinsamen Haus in der Innenstadt und drei eingerichtete Einzelapartments.
Ein weiteres Beispiel für die Unterbringung von wohnungslosen Menschen in Frankfurt hat eine weitaus längere Geschichte. Die frühere Siedlung Mammolshainer Straße (Foto) stammt aus dem Jahr 1929 und wurde unter dem damaligen Baudezernent Ernst May aufgebaut. Im Gallus Viertel entstanden damals 296 2-Zimmer-Wohnungen, die der Unterbringung obdachloser Familien dienen sollten. Die Wohnfläche wurde auf 32 qm beschränkt, auf Einbauküchen und Badezimmer wurde dabei verzichtet. Dafür wurden ein gemeinschaftliches Wasch- und Badehaus neben dem Hauptgebäude eingerichtet. Zwischen den Wohnblocks wurden Freiflächen und Kinderspielplätze geplant, um einen Ausgleich für die kleinen Wohnflächen herzustellen und die Bewohner*innen mit Licht, Luft und Sonne zu versorgen. Auch diese Wohnungen hatten trotz all dieser Überlegungen einen temporären Charakter: der Grundriss der Wohnungen war so angelegt, dass je zwei Wohnungen zu einer 4-Zimmer-Wohnung zusammengelegt werden konnten nach dem geplanten Wiedereintritt der Bewohner*innen in ein Arbeitsverhältnis.
Diese Siedlung ist die einzige Siedlung des Neuen Frankfurt die komplett abgerissen wurde. Auch wenn Wohnungsknappheit nur ein Grund für Obdachlosigkeit ist, so können bauökonomische Strategien sowohl präventiv gegen den Verlust von Wohnraum als auch unterstützend bei Wegen aus der Wohnungslosigkeit wirken.
1987 schreibt Lore Kramer (ehemalige Dozentin an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach) in ihrem Artikel „Zum sozialen Wohnungsbau im neuen Frankfurt“: „Heute, zu einer Zeit, in der es mehr als 350 Millionen Obdachlose auf der Welt gibt, sollten Konzepte einer Reform des Zusammenlebens und bauökonomische Strategien wieder ein zentrales Thema sein, so wie sie wesentliches Anliegen von Ernst May und den Architekten des Neuen Frankfurt gewesen sind.“ Im Angesicht der aktuellen Wohnungsknappheit und der Auswirkungen der Finanzkrise von 2007 auf die globalen Wohnungsmärkte, ist diese Forderung aktueller denn je.
Literatur: Das Neue Frankfurt, 4. Jahrgang, April/Mai(1930). Verlag Englert und Schlosser, Frankfurt am Main.
Lore Kramer (1987): Zum sozialen Wohnungsbau im neuen Frankfurt. In: Wissenschaftliche Zeitschrift / Hochschule für Architektur und Bauwesen, Weimar (33). S.291-294.
27.03.2019, Katharina Böttger, freiberufliche Kuratorin für das Ausstellungsprojekt „Wie wohnen die Leute? Mit dem Stadtlabor durch die Ernst-May-Siedlungen“ am Historischen Museum Frankfurt
akteur statt connaisseur
zur zeitlosen haltung des neuen frankfurt


Im Zuge des Bauhaus-Jubiläums hat auch das „neue frankfurt“ eine größere Aufmerksamkeit erfahren. Unterschied zwischen den beiden ist weniger die gestalterische Ansicht, als vielmehr das Tätigkeitsfeld. Das Bauhaus war eine Hochschule, das neue frankfurt ein wie ein Unternehmen geführtes Projekt, in dem die Stadt vom Auftrag über dem Entwurf bis zur Umsetzung und zur Nutzung alle Aspekte der gestalteten städtischen Umwelt prägte, und auf die globale Moderne trimmte. Und wo die Kompetenz an ihre Grenzen stieß wurden Frankfurter Unternehmen eingebunden, die von einer Verbesserung ihrer Leistung profitierten. Das „Think global – act local“ hatte seinen Preis: So war die Ausführungsqualität der lokal gefertigten Frankfurter Küche weit hinter den trivialen Buffets etablierter Küchenhersteller, auch baulich gab es mehr Baumängel als es hätten Bauuunternehmer aus der Provinz sich hätten erlauben dürfen. Das „Besser oder billiger“ ist eine Frage die sich die Protagonisten offensichtlich nicht gestellt haben, ihnen ging es um die eigene Gestaltungshochheit. Die Stadt nicht als Einkäufer externer Bau- und Designleistungen, sondern als Ansatzgarant einer eigenen Ideenschmiede. Dieser kulturelle Ansatz war sicherlich wenig ökonomisch, und vielleicht auch damals administrativ ein Kuriosum oder gar rechtlich fraglich. Statt Gartensiedlungen mit Rundbögen und Fensterläden und Arbeiterwohnungen mit Wohnküche und Kachelofen setzten die Protagonisten auf ein Modell das dem International Style folgte und Maßstäbe für das Bauen und Gestalten für von Alaska bis Feuerland setzte. Die Schreibtischleuchten von Christian Dell, die Stahlzarge von August Schanz, die Schriftart Futura von Paul Renner und die Frankfurter Küche sind absolute Standards. Der international Style machte Frankfurt nicht beliebig sondern die Welt besonders frankfurterisch. Wir profitieren noch heute davon. Dieses Vermächtnis gilt es nicht nur zu bewahren, man muss es als Rezept nachkochen, vielleicht in einer neuen Frankfurter Küche. Wer meint Vorschriften und Vorgaben ließen eine solche Haltung nicht zu, der verkennt schlichtweg die Möglichkeiten unserer Zeit, erst Recht in Frankfurt, der gewachsenen Mitte Europas, mit ihren infrastrukturellen und sozialen Kapazitäten.
20.03.2019, Christos Vittoratos
vorgänger der tupperware
das kubus-geschirr von wilhelm wagenfeld


Seit über einem Jahr findet im Schaufenster des Forum Neues Frankfurt in der Römerstadt (Hadrianstraße 5) eine monatlich wechselnde kleine Design-Ausstellung statt, die von Christina Treutlein kuratiert wird. Das Exponat des Monats März 2019 ist das Glasgeschirr von Wilhelm Wagenfeld.
Standardisierungen und Massenprodukte entsprechen in den 1920er Jahren dem Zeitgeist in vielen Branchen der Industrie. Am Bauhaus und anderen Kunstgewerbeschulen bereitet man künftige Gestalter darauf vor, sich mit Entwürfen von Typen- und Standardformen in der Industrie zu behaupten und neue Maßstäbe zu setzen. So auch der ehemalige Bauhaus-Schüler Wilhelm Wagenfeld (1900-1990).
1935 bietet der größte deutsche Glaskonzern, die Vereinigte Lausitzer Glaswerke AG (VLG), Wagenfeld die künstlerische Mitarbeit in seinen Hüttenbetrieben an. Wagenfeld nimmt an, setzt in seinem Antwortschreiben aber kühn das Wort Leitung an Stelle der angebotenen künstlerischen Beratung. Schnell erkennt er, dass er nicht für das überwältigend große Sortiment der VLG verantwortlich zeichnen kann und schafft sich mit der „Rautenmarke“ ein eigenes Warenzeichen.
Neben der Gestaltung von Vasen, Tassen und dergleichen ist es vor allem das Pressglas, dem der Designer seine besondere Aufmerksamkeit schenkt. Der Ruf des Billigen und Schlechten haftet diesem Industrieprodukt an. Es ist dem Erfindungsreichtum Wagenfelds und seinem unermüdlichen Streben nach Qualität zu verdanken, dass diesem bislang kaum beachteten Nischenbereich die schönsten und gleichzeitig günstigsten Gläser der VLG entstanden. Zum größten Erfolg wurden dabei die Kubus-Vorratsbehälter von 1938 – ein Baukastensystem für den Kühl-schrank. Die Idee kam Wagenfeld, als er sich eines dieser neuen Geräte anschaffte. Runde Töpfe versperrten darin schnell jeden Platz und bereits im Handel befindliche Vorratsbehälter aus Glas waren zwar für die Vorratshaltung, nicht aber für den gedeckten Tisch geeignet. Kästen und Krüge des Kubus-Geschirrs werden von Wagenfeld also formschön proportioniert. Die Kuben haben eine Kantenlänge von 9 cm bzw. 18 cm, die Wandstärke beträgt 4 mm. Jedes der sieben Kästen und Krüge hat einen hat einen sich nach innen verjüngenden Standring. Die Kruggefäße haben einen nach innen vertieft liegenden Griff und einen Ausguss, wodurch die Geschlossenheit der Kubusform und damit die Stapelbarkeit ohne unnötige Leerräume gewährleistet ist. Das Kubus-Geschirr wird sofort zum Verkaufserfolg. Wagenfeld ist hier ein Designklassiker im Bereich der Glasindustrie gelungen. Die Bezeichnung Kubus für sein neues Geschirr – eine Hommage an das Bauhaus?
15.03.2019, Juliane Geißler, ernst-may-gesellschaft
moderne am main
von verborgenen schätzen und lieblingsobjekten


Kuratorin Annika Sellmann berichtet von ihrer Schatzsuche
Mit großem Erfolg startete im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt die Ausstellung „Moderne am Main 1919-1933“. Im Bauhausjahr 2019 richtet das Museum Angewandte Kunst seinen Blick auf die Geschichte Frankfurts.
Nach dem Ende des ersten Weltkriegs erwuchs Frankfurt am Main zum Archetyp einer modernen Großstadt. Die Großstadtutopie umfasste im Frankfurt der 1920er Jahre einen universellen Anspruch am Mode-, Interieur-, Industrie-, Produkt- und Kommunikationsdesign. Damit entstand in der Mainmetropole das Neue Frankfurt, ein bespielloses Programm baulicher und kultureller Erneuerung. Zu dieser Zeit galt Frankfurt am Main als ein dem Bauhaus gleichwertiges, weltbekanntes Zentrum der Avantgarde.
Größte Ausstellung zur Geschichte des Neuen Frankfurts
Das Museum Angewandte Kunst erzählt mit mehr als 500 Objekten, Skizzen, Modellen, Fotographien Filmen und Tonaufnahmen, die von dem Kurator*innenteam von über 40 privaten Leihgebern, öffentlichen Archiven und Museumssammlungen zusammengetragen wurden, die Geschichte des neuen Frankfurts. Die Ausstellung zeichnet ein facettenreiches Bild vom Aufbruch in die Gestaltungsmoderne und stellt die Protagonist*innen der Moderne am Main vor.
Ausstellungsräume zum Leben erwecken
Für die Entwicklung der Ausstellung und des Kataloges recherchierte und arbeitete sie, in enger Zusammenarbeit mit den anderen Kurator*innen, die Themen inhaltlich aus. Zusätzlich lag der Fokus, neben der Frage der gestalterischen Umsetzung, vor allem darauf, welche Objekte, Fotografien und Illustrationen sich für die Ausstellung eignen. Durch ihr Studium der Kunstgeschichte, eine Masterarbeit über Margarete Schütte-Lihotzkys Kleingartenlauben und ihre Tätigkeit bei der ernst-may-gesellschaft e.V., war Kuratorin Annika Sellmann bereits mit einigen Inhalten der bevorstehenden Ausstellung vertraut. Somit konnte sie ihr Vorwissen in die Gestaltung der Ausstellung miteinfließen lassen.
Von verborgenen Schätzen und Lieblingsobjekten
Frau Sellmann stieß während ihrer Recherche für die Ausstellung „Moderne am Main“ auf so manche Objekte, die sie selbst als besondere Funde oder sogar Schätze bezeichnen würde. Denn die Produkte des Neuen Frankfurts sind in Museumssammlungen längst nicht so gut vertreten, wie Objekte aus dem Bauhaus-Universum. Solche Exponate aufzuspüren, gestaltete sich für Kuratorin Annika Sellmann als eine aufregende Suche. Die Objekte aus Frankfurt wurden vor allem bei engagierten Privatsammlern und Vereinen gefunden. Für sie sind die seltenen Möbel von Franz Schuster aus den späten 1920er Jahren ein ungewöhnlicher Schatz, den die Ausstellung beherbergt. Die Typenmöbel gelten heute als selten, weil von der unscheinbaren Massenware heutzutage kaum Exponate erhalten sind. Vermutlich seien viele davon auf Frankfurter Dachböden verschollen oder aus Unwissen bereits auf dem Sperrmüll gelandet, erklärte Annika Sellmann. Glücklicherweise konnten, durch die Sammlung der Ernst-May-Gesellschaft, einige Möbel von Franz Schuster gerettet werden. Die Möbel zeichnen sich aber nicht nur durch ihre Seltenheit aus, sondern sind als Kombinationsmöbel, die sich problemlos erweitern lassen, für damalige Zeiten auch besonders innovativ. Ihr Aufbau erinnere an das heutige IKEA-Prinzip, scherzte Frau Sellmann.
Von all den Möbeln der Frankfurter Gestalter*innen der 1920er Jahre, hat es der Kuratorin auch die Parkbank von Ferdinand Kramer besonders angetan. Ihr liebstes Objekt in der Ausstellung ist eine Fotoserie des Instituts für Stadtgeschichte, die verschiedenste Frankfurter Parkbänke besonders detailverliebt dokumentiert. Annika Sellmann ist froh über diese Leihgabe aus dem Institut für Stadtgeschichte, da solch historisches Bildmaterial einen seltenen Einblick in die Geschichte des Grünflächenamtes für die Besucher der Ausstellung ermöglicht. Im Zuge der Ausstellung wurde eine dieser Parkbänke, die leider komplett heute aus dem Stadtbild verschwunden ist, in Kooperation mit dem Frankfurter StartUp Tatcraft GmbH nach Plänen des Architekten Ferdinand Kramer reproduziert, ein Exemplar lädt in der Ausstellung zum Verweilen ein. Zwei Parkbänke sollen während der Ausstellungslaufzeit im öffentlichen Raum installiert werden, eine davon im Metzlerpark neben dem Museum.
Fotos: Wolfgang Günzel
20.02.2019, Julia Schäfer, Museum Angewandte Kunst
cettos volkshaus west im gallus
das ungebaute neue frankfurt

Im ehemaligen Arbeiterstadtteil Gallus wurde 1929 mit dem Bau der Hellerhofsiedlung von Mart Stam begonnen. Neben den Wohnungen und dem Heizwerk von Mart Stam sollte das Volkshaus West von Max Cetto entstehen. In der Zeit des Neuen Frankfurt wollte man weg von der Zentralisation und hin zur Dezentralisation der Bildungseinrichtungen. Man wollte mit der Bildung in die Wohnquartiere und diese auch in der Freizeit den Bürgern zu ermöglichen. Das Volkshaus West sollte ein „Baustein“ in diesem System sein.
Das Volkshaus West sollte an der Ecke Frankenallee und Sodener Straße entstehen. Damit hätte es gegenüber der Scheidhainer Straße mit ihren 4-geschossigen Kopfbauten gestanden und ein entsprechendes Pendant gebildet. Der große Saal des Volkshauses hätte bis zu 760 Personen gefasst. Des Weiteren waren geplant eine Volksbücherei mit 20.000 Bänden, ein Lesesaal für Kinder, ein Ausstellungsraum und einige kleine Räume für die Bildungsarbeit. Außerdem eine Wirtschaft, die bei Veranstaltungen auch die Gastronomie für den Saal hätte übernehmen können. Eine Wohnung für den Hausverwalter war ebenfalls angedacht. Durch Falt- und Rollwände wollte Cetto die öffentlichen Räume miteinander verbinden bzw. abtrennen, um damit eine möglichst große und flexible Nutzung zu ermöglichen.
Das Volkshaus wäre vom Volksbildungsheim finanziert worden, die Realisierung hätte vom Hochbauamt Frankfurt in Zusammenarbeit mit Max Cetto erfolgen sollen. Es kam aus Kostengründen und den politischen Veränderungen nicht zur Realisierung. Auch in Praunheim wo Cetto ebenfalls ein Volkshaus plante, wurde der Bau nicht realisiert. Heute steht dort die Christ-König-Kirche. Im Gallus entstanden anstelle des Volkshauses Wohnungen. Anfang der 60er Jahre wurde dann das neue Bürgerhaus Gallus in der Frankenallee 111 errichtet, dieses Bürgerhaus wurde in den Anfängen für die Frankfurter Auschwitzprozesse genutzt. Von der Dimension ist es wesentlich kleiner als das ursprünglich geplante Volkshaus West und fasst maximal 440 Personen im großen Saal.
Literatur: Das Neue Frankfurt, 5. Jahrgang, August 1931, Heft 8, Verlag Englert und Schlosser, Frankfurt am Main.
14.02.2019, Danny Alexander Lettkemann
der main-tunnel
das ungebaute neue frankfurt


In der Ära des Neuen Frankfurt entwickelte sich die Main-Metropole zu einem Zentrum der modernen Gestaltung und des progressiven Wohnungsbaus. Relativ unbekannt ist bis heute, dass auch die technische Verkehrsinfrastruktur der Stadt einen gewaltigen Sprung nach vorn machen sollte.
Unter Oberbürgermeister Ludwig Landmann wurde 1925 eine Untertunnelung des Mains auf Höhe der historischen Altstadt projektiert, um „den immer stärker anwachsenden Verkehr von Bonames und Preungesheim nach Ober- und Niederrad aufnehmen zu können“, so der Ingenieur Erich Lasswitz. Der Tunnel sollte auf drei Ebenen Schnell- und Straßenbahnen, Kraftwagen-, Fahrrad- und Fußgängerverkehr aufnehmen. Die Zuleitung des Verkehrs plante Lasswitz, der hauptberuflich das Technische Feuilleton der Frankfurter Zeitung betreute, über schleifenförmige Rampen. Der Tunnelzugang auf Frankfurter Seite sollte im Erdgeschoss des Rathauses und der auf Sachsenhäuser Seite unweit der Leonhardskirche eingerichtet werden. Für das Tunnelprofil wählte man einen Kreis, um so den Druck des Wassers gering zu halten. Die unterste Ebene sollte den schienenbasierten Verkehr aufnehmen, die darüber liegende den Autoverkehr und im dritten Stock war der Platz den Fußgängern und Radfahrern vorbehalten. Im obersten Teil der Tunnelröhre waren Maschinenanlagen für die Be- und Entlüftung vorgesehen, die über die Strömung des Mains betrieben werden sollten.
Auch die Einkaufsversorgung und Wohnraumbeschaffung wurden bei Tunnelplanung bedacht. Läden und Ausstellungsräume sollten die Fußgänger- und Radfahrerebene säumen und Wohnungen entlang der Kraftfahrzeugtrasse eingerichtet werden.
Im Dunklen bleibt bis heute, warum die Planung Lasswitz‘ letztlich nicht realisiert werden konnte. Seine detaillierte Projektstudie erschien 1925 anlässlich des Frankfurter Faschings in der Festschrift Römer-Maske des Bildhauers Benno Elkan. Danach geriet die Vision lange in Vergessenheit und konnte erst sechzig Jahre später realisiert werden. Die ersten U-Bahnen querten den Main im Jahr 1984.
Literatur: Lasswitz, Erich, „Der Main-Tunnel“, in: Elkan, Benno (Hg.), Römer-Maske, Frankfurt am Main, 1925.
07.02.2019, Philipp Sturm
moderne am main
tradition verpflichtet


Eine Revolution des Großstädters – nicht weniger versprach der Frankfurter Stadtbaurat Ernst May zu seinem Amtsantritt im Jahr 1925. Dass er den Mund dabei nicht zu voll genommen hat, zeigt die Ausstellung „Moderne am Main“, die seit wenigen Tagen im Museum Angewandte Kunst zu sehen ist. Es ist beeindruckend, wie sehr die Stadtlandschaft von der Ästhetik der Mainmoderne durchdrungen war. Der Wohnungsbau des Neuen Frankfurt ist noch heute sichtbar – viele Frankfurterinnen und Frankfurter wohnen in einer der rund 15.000 Wohnungen, die das Team um Mays Hochbauamt in den 1920er Jahren errichtete. Die Sonderausstellung zeigt dagegen die Objekte, die außerhalb von Kunstsammlungen und Museumsmagazinen kaum jemand mehr kennt: die Möbel, Gebrauchsgegenstände, Plakate und Fotografien des Neuen Frankfurt.
Für jeden Lebensbereich lieferten die Gestalterinnen und Gestalter im städtischen Auftrag einen Entwurf – egal, ob Türgriff, Schreibtischlampe oder sachliche Parkbank in den Frankfurter Farben rot und weiß. Letztere habe ich bei der Ausstellungseröffnung getestet und kann Ihnen versichern, dass es sich im Neuen Frankfurt sehr bequem saß!
Andere Artefakte des Neuen Frankfurt polarisierten durchaus, etwa der Entwurf eines neuen Stadtwappens. Der abstrahierte Adler des Grafikers Hans Leistikow hat die Bevölkerung geradezu gespalten. Während einige Bürgerinnen und Bürger den mutigen Entwurf als Bekenntnis ihrer Stadt zur Moderne feierten, sahen andere die Tradition Frankfurts verhöhnt und reagierten mit empörten Briefen an Presse und das Hochbauamt; heute würden wir von einem Shitstorm sprechen. Gleiches gilt für die Frankfurter Küche: Sowohl ihr aus der Fabrik entlehntes Grundprinzip als auch ihre Erfinderin Margarete Schütte-Lihotzky, eine der ersten Architektinnen in Deutschland, erhitzten die Gemüter.
Diese Kontroversen waren typisch für die 1920er Jahre in Frankfurt. Die meisten lassen sich auf so einfache wie essentielle Fragestellungen herunterbrechen: Wie wollen wir leben? Welche Formen entsprechen unserem Alltag in Zukunft? Und: Wie können wir dieses Leben für alle zugänglich und erschwinglich machen? In Zeiten von Wohnungsknappheit, vielfältiger Lebens- und Familienmodelle und einer sich wandelnden Arbeitswelt stehen genau diese Fragen erneut auf der Diskursagenda unserer Stadt. Mit dem Neuen Frankfurt können wir dabei an eine Tradition anknüpfen, die wertvolle Anregungen liefert.
Ich hoffe, dass sich dieser Blog als Forum etablieren wird und bin gespannt auf die Beiträge der vielen Frankfurter Akteure des Bauhausjubiläumsjahrs.
23.01.2019, Dr. Ina Hartwig, Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt am Main
blog forum neues frankfurt
zum start
Liebe Freundinnen und Freunde des Neuen Frankfurts und des Bauhauses,
der Online-Auftritt des Forum Neues Frankfurt präsentiert zum einen die beteiligten Partner und zum anderen weist er auf zahlreiche Veranstaltungen rund um die Themen Neues Frankfurt, Bauhaus und Wohnen in der Großstadt des 21. Jahrhunderts hin. Im Bauhausjahr 2019 ist eine Vielzahl von Ausstellungen, Lesungen, Musikereignissen, Führungen, Vorträgen u.v.m. geplant. Aktuelle Berichte und Hinweise zu den genannten Themen und Ereignissen finden Sie auf diesem Blog.
Neben den Beiträgen der beteiligten Akteure möchten wir auch Sie – liebe Leserinnen und Leser – dazu einladen, uns Ihre Beiträge, Gedanken oder auch Kritiken in Form von Text und Bildern zuzusenden. Gerne werden wir diese in diesem Blog veröffentlichen.
11.01.2019, Philipp Sturm, Forum Neues Frankfurt